Hackschnitzelwege als geeignetes Biotop für Totholzbewohner anzupreisen, erscheint zunächst – gelinde ausgedrückt – etwas naiv. Als die Verwalter eines öffentlichen Parks 1999 mitten in London einen 135 m langen Weg aus Buchen-, Eschen- und Eichenschnitzeln anlegten, hatten sie auch nichts dergleichen im Sinn. Der Pfad war einen Meter breit und 20 cm tief, zwei- bis dreimal jährlich wurden frische Hackschnitzel aufgeschüttet. 2005, also sechs Jahre später erlaubten die Finanzen das Anlegen dauerhafter Wege und die Hackschnitzel sollten entfernt werden. Dabei wurden zur völligen Überraschung aller Beteiligten 750 Hirschkäferlarven in verschiedenen Entwicklungsstadien sowie einige fertig entwickelte Hirschkäfer gefunden. Wohlgemerkt, mitten in London und in einem Pfad, der täglich von den Besuchern des Parkes begangen wurde! Binnen sechs Jahren war hier völlig unbeabsichtigt eine fantastische Kinderstube für Hirschkäferlarven entstanden.
Noch extremer waren die Rahmenbedingungen bei einer Schule in Verluwe, Niederlande. Hier wurde 1980 ein täglich bespieltes, 300 Quadratmeter großes Gelände 30 cm tief mit Hackschnitzeln aufgeschüttet. Alle fünf Jahre wurden frische Hackschnitzel nachgefüllt. 2004 wurden hier 9 Hirschkäferlarven und 200 Nashornkäferlarven entdeckt. In beiden Projekten waren die nachträglich hinzugezogenen Entomologen von dem unbeabsichtigten Erfolg der Anlage für die Käferwelt völlig überrascht. Derartige Projekte können natürlich nur dann funktionieren, wenn sich noch natürliche Populationen der entsprechenden Käferarten im Umfeld befinden. Von nichts kommt nichts!
Die Gründe für den überraschenden Erfolg der Hackschnitzel sind noch umstritten, zumindest zwei Faktoren scheinen aber schon einigermaßen gesichert zu sein:
1. Hackschnitzel haben - verglichen mit einem Baumstamm – eine sehr große Oberfläche. Pilzhyphen und Bakterien bietet sich so eine riesige Angriffsfläche, der Verrottungsprozeß wird durch den intensivierten Abbau deutlich beschleunigt.
2. Hackschnitzel bilden einen guten Mulch, der die Feuchtigkeit speichert und somit ein Austrocknen des Substrates verhindert. Damit entsteht ein konstantes Mikroklima, in dem sich die Insektenlarven gut entwickeln können.
Hackschnitzelwege sind eine billige Alternative um Wege im Garten anzulegen. Der in beliebiger Breite und in einer Tiefe von 30 cm ausgeschachtete Weg wird mit Hackschnitzeln aufgefüllt. Eine Kiesdrainage am Boden kann wegfallen, Ziel des Projektes ist ja nicht die lange Haltbarkeit des Weges sondern sein ökologischer Nutzen. In verrottendem Laubholz (vor allem Buche und Eiche) entwickeln sich generell mehr Insektenarten als in Nadelholz. Verschiedene Wegeabschnitte können aber natürlich auch mit beiden Holzarten beschichtet werden, im Hinblick auf die entstehende Vielfalt wäre das vielleicht sogar zu begrüßen. Im Idealfall hat der Weg sowohl sonnige als auch schattige Abschnitte, dadurch wird die mikroklimatische Vielfalt noch weiter erhöht. Sobald das Material sich setzt, werden frischen Hackschnitzel aufgeschüttet, der Pflegeaufwand hält sich also in Grenzen. Versuchsweise könnte auch die unterste Schicht der Hackschnitzel mit Erde gemischt werden, um den Start des Verrottungsprozesses durch die „Impfung“ mit Pilzen und Bakterien noch weiter zu beschleunigen. Wie das Beispiel in England gezeigt hat, wirkt sich die Nutzung der Wege nicht negativ auf die Insektenfauna aus, von dieser Lösung profitieren also Mensch und Tier gleichermaßen.
Dieses englische Projekt (ich liebe den englischen Wortwitz! :-)) wurde2005 in erster Linie ins Leben gerufen, um landesweite Daten über die Entwicklung des Hirschkäfers zu bekommen. Jeder
Gartenbesitzer der teilnehmen will, bohrt in einen handelsüblichen Plastikeimer 20-30 Löcher mit ca. 4 cm Durchmesser. Der Eimer wird im Garten bündig eingegraben und mit einem 1:1 Gemisch aus
Hackschnitzeln und Erde gefüllt.
Ca. alle zwei Monate werden – falls nötig - Hackschnitzel nachgefüllt. Ansonsten bleibt der Inhalt des Eimers tabu, nachgraben ist also absolut verpönt! Nach 18 Monaten wird der Eimer ausgegraben
und sein Inhalt auf ein Tuch geleert. Die gefundenen Insektenlarven werden gezählt und bestimmt, die Ergebnisse in einem standardisierten Fragebogen festgehalten. Da die Bestimmung von
Insektenlarven vermutlich nur in den seltensten Fällen zum Erfahrungsschatz eines Gartenbesitzers zählt, wurde eine eigene Email-Hotline eingerichtet, bei der auch Fotos eingesandt werden können.
Abschließend werden Hackschnitzel und Larven wieder in den Eimer gefüllt , die Bestandsaufnahme wird dann jährlich wiederholt. Die Daten werden zentral gesammelt und ausgewertet. Die Resonanz in
der englischen Bevölkerung ist erfreulich hoch.
Wer Lust hat, kann dieses Projekt auch in seinem eigenen Garten durchführen. Ich persönlich hätte allerdings Hemmungen, einmal jährlich derart rüde in ein ökologisches System einzugreifen. Es
spricht aber ja absolut nichts dagegen, den Eimer einfach wegzulassen! Damit kann natürlich auch der Umfang des Loches und die Menge der Hackschnitzel vergrößert werden. Möglicherweise läßt sich
auf diese Weise das Biotop Wurzelstock simulieren. Wenn zusätzlich noch ein möglichst langer, freistehender Holzstamm in das Loch eingegraben wird, ständen noch weitere biologische Nischen für
Insekten, Moose und Flechten zu Verfügung.
Bei der Anlage von Totholzpyramiden in England werden unterschiedlich lange Stammstücken 50 cm tief eingegraben. Vor dem Einsetzten der Stämme wird die ausgeschachtete Grube mit einer 10 cm dicken Schicht aus Hackschnitzeln gefüllt, um ein Austrocknen in den Sommermonaten zu verhindern.
Auch bei der Anlage eines Reisighaufens könnte eine Schicht Hackschnitzel als Untergrund dienen.
Letztendlich sind der Experimentierfreude des Gärtners hier absolut keine Grenzen gesetzt. Generell scheint der Einsatz von Hackschnitzeln im Garten den Lebensraum Totholz um einen weiteren Aspekt zu bereichern. „Fehler“ im herkömmlichen Sinn gibt es daher nicht, lediglich unterschiedlich erfolgreiche Strategien. Auch Vegetarier sollten sich daher ohne Scheu auf diese (Hack)Schnitzel stürzen!
Gebundene Ausgabe (Hardcover): 180 Seiten
Autor:
Werner David
Preis:
14 Euro
Verlag:
pala-Verlag; 2.verb. Auflage 2012
ISBN-10:
978-3-89566-270-6