Nachdem mein Balkon buchstäblich aus allen Nähten platzt und die Plazierung weiterer Töpfe kategorisch ablehnt, blieb nur noch eine letzte verzweifelte Lösung: Die vertikale Begrünung. Das Flowall-System mit integrierter Bewässerung schien mir einigermaßen narrensicher und wurde daher für einen Test auserkoren.
Als ich heute das Stricklerpaket öffnete und die liebevoll verpackten Pflanzen vorsichtig aus ihrem Strohbettchen schälte, lugten die grünen Wichte unternehmungslustug ins Freie und nahmen ihren
künftigen Wohnort schon mal in Augenschein. Meine zartfühlende und diplomatische Einführung in ihren künftigen Status als Steilwandbunt schlug ein wie eine Bombe. Die Stauden waren zunächst
einmal wie vom Donner gerührt. In all den Jahrmillionen der Evolution war einer ehrbahren Waldbodenpflanze noch NIE ein derart perverser Standort zugemutet worden. Auf Klippen und Felsen wachsen
Moose, Flechten und ähnlich primitives Gemurkel, aber doch keine anständige Samenpflanze! Ungeheuerlich!! Die Stauden verloren sich zunehmend in einer hitzigen Diskussion und würdigten mich
keines Blicke mehr.
Tief im Inneren habe ich es immer geahnt, aber jetzt ist es endgültig amtlich: Ich bin ein Monster!
Ein Staudenstecher, ein Floraflagellat, ein Weidenabweider, ein Blumenblanchierer, ein Strauchstrangulierer, ein Clorophyl-Crasher. Ich bin die Inkarnation aller Alpträume, die durch die Nächte unschuldiger Keimlinge spuken. Ich bin der Buhmann, der in den pädagogisch motivierten Gutenachtgeschichten von Mama Löwenzahn lauert: "Wenn ihr nicht brav eure Lichtquanten schluckt, holt euch das Balkonmonster und pflanzt euch in eine schwindelerregende Steilwand!" Das Vertrauen der Vegetation wird mir auf ewig verwehrt bleiben und alle Wildstaudengärtnereien werden mich auf ihre schwarze Liste setzen. Vorerst setzte ich auf hochdosiertes Baldrian im Gießwasser und Streichquartette von Mozart zur psychischen Equilbrierung. Alles wird gut ... hoffe ich wenigstens!
Es sind noch keine Einträge vorhanden.