"Von einem der auszog das Abendland zu vernichten" oder "so (sta)tief kann ein Fotograf sinken"

Langzeitbelichtung: Bei einer halben Sekunde bleibt der vergleichsweise statische Standfuß scharf, während der Rest des Körpers bereits komplett verschwimmt. Umfangreichere Experimente blieben mir durch den Einsatz der Münchner Ordnngshüter verwehrt. :-)
Langzeitbelichtung: Bei einer halben Sekunde bleibt der vergleichsweise statische Standfuß scharf, während der Rest des Körpers bereits komplett verschwimmt. Umfangreichere Experimente blieben mir durch den Einsatz der Münchner Ordnngshüter verwehrt. :-)

Jetzt ist die Katze endgültig und unwiderruflich aus dem Sack: ich bin der geborene Verbrecher! Solange ich weiterhin auf freiem Fuß bin, hängt das Überleben des Abendlandes an einem seidenen Faden. Tief im Inneren waren mir diese seelischen Abgründe natürlich immer schon bewusst, aber wer ist bereit wirklich selbstkritisch in den Spiegel zu schauen? Jack the Ripper hielt sich vermutlich auch für den netten Jungen von nebenan.

 

Eigentlich wollte ich ja nur ein paar ganz harmlose fotografische Eximperimente mit dem Graufilter (Neutraldichtefilter) durchführen, um zu ermitteln in welchem Umfang bewegte Objekte durch die Verlängerung der Belichtungszeit erst transparent werden, um dann völlig im Nirwana zu verschwinden. Mit einer Belichtungszeit von etlichen Minuten lassen sich so 99% der Touristenhorden an belebten Plätzen terminieren. Bei dieser Methode lässt sich der Einsatz eines stabilen Stativs notgedrungen nicht umgehen, deswegen kam auch mein geliebtes Carbonstativ wieder mal zum Einsatz, allerdings nicht allzu lange. Tatort des Verbrechens war der U-Bahnhof Marienplatz in München, dessen quietschiges Orange mich immer wieder beeindruckt. Schon nach gefühlten 60 Sekunden standen bereits zwei Vertreter eines Sicherheitsdienstes im Ritter-Sport-Look (Quadratisch, praktisch, gut) auf der Matte und beäugten mich mit fast schon kristalliner Mißbilligung. Ein solch unterkühlter "Dein-Spiel-ist-aus-du-Schurke"-Blick würde selbst Mahatma Gandhi nervös machen. Wer nicht im Stande ist seine Fotos freihändig zuschießen, ist möglicherweise zu noch schlimmerem fähig und muss daher vorsichtshalber genauer unter die Lupe genommen werden. Gerührt durch diese ebenso unerwartete wie unverdiente Zuwendung fühlte ich mich im Kreise der martialischen Schwarzjäckchen sofort ähnlich geborgen, wie ein Karpfen auf dem Jahrestreffen der Seeadler.

 

Ganz offensichtlich bin ich der Prototyp eines Terroristen und neige dazu meine Mitmenschen zu verunsichern. Dazu gehören meine beängstigende Größe von 165 cm, die niedrige flache Stirn mit den ausgeprägten Überaugenwülsten, der massige, brutale geschnittene Unterkiefer und das nur mühsam verhohlene Lodern des Wahnsinns in den tiefliegenden Augen. Von dem Aggressionspotenzial eines Plüschhäschens ganz zu schweigen. Ich verprügle nette alte Damen am Rollator und sobald keiner hin sieht, trete ich mit Vorliebe pubertäre Yorkshire-Terrier mit ihren affigen rosa Schleifchen. Wer weiß, wozu ein solcher Wahnsinniger fähig ist, wenn er auch noch ein tödliches Carbonstativ sein eigen nennt! Kurzum, ich bin jenes Monster das durch alle liebevoll pädagogisch motivierten Gute-Nacht-Geschichten geistert und für altersgerechtes, nächtliches Albtraumszenario bei den lieben Kleinen sorgt. Würden Sie ein solches Wesen im Münchner Untergrund ohne Genehmigung fotografieren lassen? Ich auch nicht!

 

Da ich dummerweise an diesem Tag auch noch mein Personalausweis zuhause gelassen hatte, vermied ich - wenn auch schweren Herzens - alle philosophischen Grundsatzdiskussion. Unglücklicherweise drängen sich mir immer sofort die kabarettistischen Komponenten einer solchen Begegnung auf, einen Hauch von Ironie von meiner Seite kann ich dann bei der nachfolgenden Argumentation immer nur sehr schwer vermeiden. Leider reagieren die Vertreter unserer Behörden auf Ironie häufig ähnlich wohlwollend, wie Dracula auf einen angespitzten Holzblock. Also war ich sachlich, verständnisvoll und einsichtig, die Last des Verbrechens ruhte schwer auf meinen schmalen Schultern, ich ging in mich und gelobte Besserung. Münchner U-Bahnhöfe haben eine hervorragende Akustik, dass Wiehern eines Amtsschimmel kommt hier richtig gut.

 

Momentan erfreue ich mich gerade mit dem Ausfüllen eines Online Formulars der Münchner Verkehrsgesellschaft mbH zur Foto- und Drehgenehmigung. Für S-Bahnhöfe ist wieder eine andere Stelle zuständig und für den Hauptbahnhof das entsprechende Pressebüro. Auch wenn diese Genehmigung offensichtlich eine reine Formsache ist, wird sie nicht pauschal erteilt, die fotografierten Bahnhöfe müssen namentlich aufgeführt werden. Da kommt richtig Freude auf! In einer Woche wage ich dann tollkühn einen zweiten fotografischen Anlauf. Man stelle sich dieses überschäumende Glücksgefühl vor, diesen monströsen Endorphin-Flash, wenn ich den Hütern deutscher Ordnung dann mit stolzgeschwellter Brust meine hochoffizielle Fotogenehmigung präsentiere.

 

Ende gut, alles gut!

 

Nachtrag: Keine halbe Stunde nach meiner Antragstellung per Email kam auch schon die nachfolgende Antwort, ich hatte eher mit einer tagelangen Denkpause gerechnet. Bei solchen atemberaubenden Geschwindigkeiten stirbt der Amtsschimmel im Idealfall schon bald an einem Herzinfarkt. Hut ab, da kann man wirklich nicht meckern. Das nenne ich erfrischende Kundenbetreuung, Sachbearbeiter mit  Humor sind ein echter Segen für die Menschheit!

 

Sehr geehrter Herr David,

 

 vielen Dank für Ihre erfreuliche Anfrage. Gerne glauben wir Ihnen, dass Sie in keinster Weise die Menschheit gefährden werden und senden Ihnen daher die gewünschte Fotogenehmigung mit der Bitte, die zweite Seite unterschrieben an uns zurückzuschicken.

Freundlichste Grüße und gutes, unbeschwertes Gelingen wünschen Ihnen die guten Geister der Verwaltung

 

MVG - U-Bahn, Bus und Tram für München 
Ressort Verkehrservices, Marketing 
Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit

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