Memento mori - ein Eidechsenmysterium

Nicht ganz topfitte Eidechse in der Toskana
Nicht ganz topfitte Eidechse in der Toskana

Memento mori ein Eidechsenmysterium

 

Ein bei eBay ersteigerter Ghillie-Tarnanzug und der VHS Wochenendkurs „Schleichen wie ein Profininja“ haben die praktischen Voraussetzungen für das fotografische Porträt dieser scheuen Eidechse geschaffen. Ihr suboptimaler Gesundheitszustand mag ebenfalls eine Winzigkeit zum Erfolg des Unternehmens beigetragen haben. Mit der Wahl des roten Untergrundes hat das bläuliche schimmernde Reptil zwar sein Talent für farblich passende, melodramatische Inszenierungen unter Beweis gestellt, die Gründe für diese Aufnahme waren primär aber keine ästhetischen. Für eine Eidechse, die den Löffel ganz offensichtlich nicht erst gestern abgegeben hat, ist es aus biologischer Sicht absolut unangebracht derart provozierend in der Gegend herum zu liegen.

 

Nettes, energiereiches, leicht verdauliches Protein, das weder wegläuft, noch einem potentiellen Interessenten an die Kehle fährt, steht im Tierreich hoch im Kurs. Daher werden Kadaver in freier Wildbahn geradezu mit Lichtgeschwindigkeit abgebaut. Aus den Reihen der Insekten haben sich zahlreiche Arten auf ein Amt als Bestatter spezialisiert: Schmeißfliegen, Fleischfliegen, Käsefliegen, Speckkäfer, Schwarzkäfer, echte Motten und andere mehr. Viele Tierpräparatoren züchten Speckkäfer, deren Larven kleine Skelette geradezu bewundernswert akribisch abfleischen. Selbst zarte Knochenstrukturen wie das rudimentäre Becken einer Blindschleiche bleiben dabei vollkommen erhalten. Auch die allgegenwärtigen, winzigen Ameisen können in der Proteinverwertung erstaunliches leisten.

 

Bei uns sind es vor allem Vertreter der Aaskäfer, die so genannten Totengräber (Necrophorus), die kleinere Wirbeltiere innerhalb eines Tages unter die Erde bringen, wo sie als Vorrat für die Käferlarven dienen. Aas ist immer nur eine sehr begrenzte Zeit vorhanden, die Devise lautet daher: „Haut rein Jungs!“. Schmeißfliegen können ihren Entwicklungszyklus innerhalb von zehn Tagen beenden. Manche Fleischfliegen legen keine Eier, sondern bereits Larven ab, um den Zyklus weiter zu beschleunigen. Maden der Fleischfliegen massakrieren mit speziellen Mundwerkzeugen die Maden der Schmeißfliegen um potentielle Nahrungskonkurrenten auszuschalten. Es gilt das charmante Motto aller All-inclusive-Clubtouren: „Keine Gnade am Buffet!“. Die Abfolge der verschiedenen Arten an einem Leichnam ist immer gleich und kann daher in der Gerichtsentomologie zur Abschätzung des Todeszeitpunkt des benutzt werden. Literarische Klassiker - wenn auch nicht unbedingt allgemeine Bestseller - auf diesem etwas morbiden Sachgebiet sind die „Grabfauna“ (La Faune des Tombeaux) von 1887 und die „Leichenfauna“ (La Faune des Cadavres) von 1894. Ich vermute beide Forscher blieben wohl Junggesellen, ein derart delikates Fachgebiet dürfte bei der Balz eher hinderlich sein.

 

Normalerweise findet man daher in freier Wildbahn nur relativ frische Kadaver oder gar keine. Typisch dafür sind Spitzmäuse, die zwar den Jagdtrieb einer Katze auslösen, aufgrund ihrer infernalisch stinkenden Drüsensekrete im Anschluss aber nicht gefressen werden.

 

Warum diese Eidechse so entspannt und nahezu unversehrt in der Sonne liegt, ist mir daher völlig unverständlich. Ein derart unsoziales Verhalten gehört sich einfach nicht! Aas-ta la vista, Baby!

Maulwurf in suboptimalem Gesundheitszustand
Maulwurf in suboptimalem Gesundheitszustand

So sieht das Ganze normalerweise aus:

Fliegen und Ameisen haben sich eingestellt, am ganzen Kadaver finden sich Eigelege, die ersten Maden sind bereits geschlüpft. Am Schwanzende wuselte bereits das erste Totengräberpärchen und beratschlagte über die effektivsten Ausschachtungsstrategien, um den Käferlarvenproteinsnack möglichst rasch unter die Erde zu bringen. Die Konkurrenz schläft schließlich nicht. Am Tag darauf gab es bereits kein Fitzelchen Maulwurf mehr zu sehen.

In meinen Augen beeindruckend ist das typische Insektenfressergebiss und die mächtigen Grabschaufeln. Maulwurfsohrfeigen sind mörderisch!

Erstes und letztes Bild der Serie
Erstes und letztes Bild der Serie

 

P.S.: Diese vorliegenden Aufnahme ist übrigens mein erster Versuch mit dem so genannten „focus stacking“. In diesem Beispiel wurden acht Aufnahmen mit einem jeweils leicht versetzten Fokuspunkt von einer speziellen Software (Helicon focus) zu einem Gesamtbild mit durchgehender Schärfentiefe verrechnet. Vor allem im extremen Makrobereich kann diese Technik zu geradezu verblüffenden Ergebnissen führen.

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